Geschichte 01: Der Pavillon auf den Dünen
Frank Cassilis ist ein dreißigjähriger, menschenscheuer Schotte, der ein unabhängiges Vagabundenleben führt. Er ist gebildet, hat keine Geldsorgen und liebt die Einsamkeit der schottischen Nordseeküste. Eines Tages kehrt er an einen Ort zurück, den er vor neun Jahren zuletzt besucht hat: den Pavillon, ein abgelegenes Landhaus auf den Dünen im Graden Easter, das seinem ehemaligen Studienfreund Northmour gehört. Die beiden hatten sich damals im Streit getrennt, und Frank hat seither keinen Kontakt mehr zu Northmour gehabt.
Als Frank in der Nähe des Pavillons zeltet, beobachtet er eines Nachts, wie Northmour das Haus für Gäste vorbereitet. Kurz darauf erscheinen Northmour, eine junge Frau namens Clara Huddlestone und ihr Vater Bernard Huddlestone. Bernard Huddlestone ist ein bankrotter Bankier, der Gelder italienischer Revolutionäre – den Carbonari – unterschlagen hat. Diese sind ihm nun auf den Fersen, um sich zu rächen. Northmour gewährt Huddlestone und seiner Tochter Schutz im Pavillon, verlangt dafür aber als Gegenleistung Claras Hand. Clara ist damit nicht einverstanden, doch ihr Vater sieht keine andere Möglichkeit, sich und seine Tochter zu retten.
Frank, der die Vorgänge zunächst nur beobachtet, lernt Clara bald persönlich kennen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine tiefe Zuneigung, die von Anfang an auf Gegenseitigkeit beruht. Frank beschließt, Clara und ihren Vater zu beschützen, auch wenn er sich dadurch mit Northmour und den gefährlichen Verfolgern anlegt. Die Situation spitzt sich zu, als die italienischen Gläubiger den Pavillon belagern. Die Atmosphäre ist von Anfang an von Gefahr, Ungewissheit und der rauen, düsteren Küstenlandschaft geprägt, die Stevenson mit großer Eindringlichkeit schildert.
Während der Belagerung kommt es zu dramatischen Szenen: Frank und Northmour, die Rivalen um Claras Liebe, müssen sich notgedrungen verbünden, um die Angreifer abzuwehren. In dieser Extremsituation zeigen beide Charaktere ihre moralische Vielschichtigkeit: Northmour ist zwar hart und kompromisslos, aber auch zu Loyalität fähig; Frank wiederum handelt mutig und selbstlos, weil ihm Claras Wohl über alles geht.
Am Ende der Geschichte gelingt es Frank und Northmour, die Angreifer zu besiegen. Bernard Huddlestone stirbt jedoch während der Ereignisse. Northmour erkennt, dass Claras Herz Frank gehört, und verzichtet auf sie. Er zieht sich zurück und überlässt Frank und Clara eine gemeinsame Zukunft. Die Novelle endet mit der Aussicht auf ein neues Leben für das Paar, während Northmour in die Einsamkeit zurückkehrt. Jahre später fällt Northmour unter Garibaldi in Tirol, also im Kampf für die italienische Einigungsbewegung.
Geschichte 02: Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Die Novelle Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson spielt im viktorianischen London und handelt von der düsteren Doppelnatur des Menschen. Im Mittelpunkt steht der angesehene Arzt Dr. Henry Jekyll, der von der Idee besessen ist, die guten und bösen Anteile der menschlichen Seele voneinander zu trennen. Durch seine Forschungen gelingt es ihm, ein Serum zu entwickeln, das ihn in seinen skrupellosen, triebhaften Gegenpart Mr. Edward Hyde verwandelt – eine Gestalt, die all das auslebt, was Jekyll sich als respektabler Bürger versagen muss.
Die Geschichte wird aus der Perspektive des Anwalts Gabriel John Utterson erzählt, einem alten Freund von Jekyll. Utterson wird misstrauisch, als Jekyll sein Testament ändert und all seinen Besitz im Falle seines Todes oder Verschwindens an den unbekannten Mr. Hyde vermacht. Kurz darauf berichtet Uttersons Cousin Enfield von einem Vorfall, bei dem ein abstoßender Mann – Mr. Hyde – ein kleines Mädchen niedergetrampelt hat. Hyde zahlt den Eltern Schweigegeld, das mit einem Scheck von Dr. Jekyll beglichen wird. Utterson vermutet, dass Hyde Jekyll erpresst.
Im weiteren Verlauf wird der ehrenwerte Sir Danvers Carew brutal ermordet, und alle Hinweise deuten auf Mr. Hyde als Täter. Die Polizei und Utterson suchen Hydes Wohnung auf, finden jedoch nur Spuren einer hastigen Flucht und Beweise für Hydes Doppelleben. Dr. Jekyll behauptet, mit Hyde gebrochen zu haben, doch Utterson bleibt skeptisch. Die Situation spitzt sich zu, als Jekyll sich immer mehr von seinen Freunden isoliert und seltsame Anweisungen an sein Personal gibt.
Eines Tages bittet Jekylls Diener Poole Utterson um Hilfe, da im Labor des Doktors merkwürdige Geräusche und Stimmen zu hören sind. Gemeinsam brechen sie die Tür auf und finden Mr. Hyde tot auf – er hat sich vergiftet. Von Dr. Jekyll fehlt jede Spur. In einem Abschiedsbrief und einer ausführlichen schriftlichen Beichte enthüllt Jekyll schließlich das ganze Ausmaß seines Experiments: Er beschreibt, wie er durch das Serum immer wieder zu Hyde wurde, anfangs willentlich, später aber auch ungewollt. Hyde verkörpert Jekylls verdrängte, dunkle Seite und begeht immer schlimmere Verbrechen, bis Jekyll die Kontrolle verliert und Hyde die Oberhand gewinnt.
Jekyll erkennt, dass er nicht mehr in der Lage ist, die Verwandlung rückgängig zu machen, und entscheidet sich für den Tod, um Hyde und das Böse in sich zu vernichten. Damit endet die Geschichte tragisch: Jekylls Versuch, die menschliche Natur zu spalten und das Böse zu isolieren, führt zur Katastrophe und kostet ihn das Leben.
Geschichte 03: Des Sire De Malétroits Tür
Die Kurzgeschichte „Des Sire De Malétroits Tür“ von Robert Louis Stevenson spielt im Jahr 1429 während des Hundertjährigen Krieges. Im Mittelpunkt steht Denis de Beaulieu, ein junger französischer Kavalier, der sich nach einem Besuch bei einem Freund spät nachts auf den Heimweg macht. Die Straßen sind gefährlich, da sie von feindlichen englischen Soldaten kontrolliert werden. Denis, dessen Passierschein im Ernstfall wenig wert ist, verirrt sich in der Dunkelheit und gerät in Lebensgefahr, als ihn eine Gruppe englischer Soldaten entdeckt und verfolgt.
Auf der Flucht stolpert Denis in den Vorbau eines prächtigen Hauses, das ihm zunächst Schutz zu bieten scheint. Als er sich gegen die schwere Tür lehnt, öffnet sie sich wie durch Zufall, und Denis tritt ein. Doch kaum ist er im Haus, schließt sich die Tür hinter ihm und lässt sich nicht mehr öffnen – Denis ist gefangen und ahnt, dass er in eine Falle geraten ist.
Im Inneren begegnet er dem Hausherrn, Alain, Sire de Malétroit, einem imposanten und unheimlichen alten Mann, der Denis mit überraschender Höflichkeit begrüßt und so tut, als habe er ihn erwartet. Der Sire spricht Denis als seinen „lieben Neffen“ an, was diesen zutiefst verwirrt und empört. Denis erkennt schnell, dass er dem alten Mann ausgeliefert ist und keine Möglichkeit zur Flucht hat.
Der Sire de Malétroit führt Denis in eine angrenzende Kapelle, wo eine junge Frau in Brautkleidung wartet: seine Nichte Blanche. Sie ist verzweifelt und ruft aus, dass sie Denis nicht kennt – er ist nicht der Mann, auf den sie gehofft hatte. Der Sire erklärt nun sein Vorhaben: Denis soll Blanche noch in derselben Nacht heiraten, um die Familienehre zu retten. Blanche hatte einen heimlichen Liebhaber erwartet, und der Sire will mit dieser Zwangsheirat einen Skandal verhindern. Falls Denis sich weigert, droht ihm der Tod.
Blanche bittet Denis, sie nicht zu heiraten, da sie ihn nicht liebt und selbst Opfer der Situation ist. Denis, der zunächst nur an seine eigene Rettung denkt, ist von Blanches Lage und ihrer Unschuld bewegt. Im Laufe des Gesprächs entwickelt sich zwischen den beiden eine vorsichtige Annäherung. Denis erkennt Blanches Mut und Reinheit und entscheidet sich schließlich, sie zu heiraten – nicht aus Zwang, sondern aus Mitgefühl und wachsender Zuneigung.
Die Geschichte endet mit der Eheschließung von Denis und Blanche. Was als Zwang und Bedrohung begann, wandelt sich in eine Verbindung, die auf gegenseitigem Respekt und echter Zuneigung basiert. Stevenson thematisiert in dieser Erzählung die Themen Ehre, Schicksal, gesellschaftliche Zwänge und die Möglichkeit, dass sich auch unter widrigen Umständen Liebe und Menschlichkeit entwickeln können.